Richard Galliano
Richard Galliano wurde am 12. Dezember 1950 in Le Cannet geboren. Er tauchte sehr jung in dieWelt der Musik ein und fing mit 4 Jahren an Akkordeon zu spielen. Dazu beeinflusst wurde er von seinem Vater Lucien Galliano, Akkordeonist italienischen Ursprungs, lebend in Nizza. Am Konservatorium in Nizza nahm er später an Kursen für Posaune, Harmonie und Kontrapunkte teil. "Während meiner Jugend hab' ich mich langsam vom Musikstyl meines Vaters entfernt. Ich spielte während dieser Zeit sehr viel Klassische Musik."
Nach einer langen und intensiven Studienzeit fing Richard im Alter von nahe 14 Jahren an sich für Jazz zu interessieren und hörte sich die Platten des großen Tompeters Clifford Brown an. "Ich habe alle Jazzsolos von Cliff Brown kopiert, beeindruckt von seinem Ton und seinem 'Drive', seinem Phrasieren ..." Fasziniert von diesem neuen Universum wunderte sich Richard daß das Akkordeon bis dato noch nie an einem solchen musikalischen Abenteuer teilgenommen hat.
"Also begann ich auf diesem Gebiet nachzuforschen und einer meiner Professoren, Claude Noel, half mir die italienischen Meister (Fugazza, Volpi, Fancelli) und die Amerikaner wie Art van Damme und Ernie Felice - welcher 1947 mit Benny Goodman spielte - zu entdecken. Ich hab' meine Jugend damit verbracht nach Platten dieser Künstler in einer Epoche zu suchen in der sich die Auswahl in den Plattenläden auf Verchuren, Aimable und Yvette Horner beschränkte. Ich wollte in einer anderen Form spielen und wusste daß es dies in den USA und Brasilien gab." Während diesen Lehrjahren hat er nicht aufgehört die Ironie von all denen zu ertragen die dachten daß das Akkordeon ein Anti-Jazz-Instrument ist, um den Ausdruck von André Hodeir wieder aufzunehmen. "Welche Ironie es war als meine Platte 'New Musette' bei Label Bleu einige Jahre später ein Teil des Kompilation des Herrn Hodeir war die ihm bei der Steigerung seines Absatzes half."
In dieser Epoche, Ende der 60er Jahre, Jazz zu spielen gestattete es nicht seine Brötchen zu verdienen. Richard Galliano hatte somit seine Zeit für verschiedene Wettbewerbe genutzt und gewann viele Preise: Welttrophäe 1966 in Valence und 1967 in Calais, 1968 den Preis des Präsidenten der Republik. Nach Jahren der Studien und Lehren faßte Richard 1973 eine wichtige Entscheidung. Er entschloß sich schließlich den großen Sprung zu wagen und ging nach Paris wo er recht viel Glück hatte: er nahm schnell Kontakte mit der Umgebung von Claude Nougaro auf. "Ich kam mit 25 Jahren in sein Orchester um Eddy Louiss zu ersetzen. In der ersten Zeit mit Nougaro, Bellonzi, Trussardi und Vander war es wie in meiner Berklee School. Während 3 Jahren spielte ich die Rolle des Chefs, Arrangeurs und Komponists (Des Voiliers, Allées des Brouillards). Mich an der Spitze eines Orchesters wie das von Claude Nougaro war eine Erfahrung die mich für immer geprägt hat. Mit ihm hab' ich besonders die Wichtigkeit der Melodie gelernt. Wenn ich jetzt am Klavier komponiere stelle ich mir vor wie ich ein Lied schreibe obschon der Großteil meiner Werke instrumental sind." Galliano komponierte 1993 wieder für Nougaro (Tango pour Claude).
Nach Claude Nougaro war eine andere bedeutsame Begegnung die mit Astor Piazzolla. Mit Piazzolla realisierte Galliano daß er nicht nach Paris gekommen war um die zweite Geige zu spielen sondern um einen Musikstyl zu erfinden den, obgleich tief in der Tradition verankert, nur ihm allein angehörte. Piazzolla sagte zu Galliano: "Dein Bild als Jazzakkordeonist ist zu sehr amerikanisch. Das ist gar nicht gut. Entdecke deine französischen Wurzeln wieder. Du mußt den New Musette erschaffen so wie ich den Tango Nuevo erschaffen habe." Eine plötzliche Einladung um zeitlich wieder zurückzureisen und wieder alles von vorn zu beginnen. Musette ? Dies ist kein einfach zu tragendes Etikett. Diese Musikart besaß ein alterndes überholtes 'Image'. Es ist als wenn sie Akkordeon wie in den 30er Jahren spielen müssten, so als ob Charlie Parker, John Coltrone und Jimi Hendrix nie existiert hätten. Astor Piazzolla hat mich begleitet und half mir diese Notwendigkeit zu verstehen um meine Identität zu bestätigen. Bis zu seinem Tod waren wir unzertrennlich. Er öffnete mir die Augen und gab mir ein großes Vertrauen in dieses Instrument welches die verschiedenen Moden, all die Leidenschaften durch- und alle Arten der Ablehnung mitmachen mußte."
1991 verwirklichte Richard Galliano seine große Idee: den New Musette. "Die 'Musette' ist ein Wort was Angst macht, am meisten den Jazzmusikern. Dennoch war die 'Musette' (Java, Walzer, Klagelied,...) in Frankreich, der 'Blues' in den USA, der 'Tango' in Argentinien zur gleichen Zeit , um genau zu sein Anfang des 20. Jahrhunderts auf der ganzen Welt erschienen. Sie sind alle die Frucht, die Verschmelzung, die Kreuzung der Menschheit und der Kulturen. Die Italiener und die Franzosen für die 'Musette', die Italiener und die Argentinier für den Tango, die Afrikaner und die Amerikaner für den Blues. All diese Einwanderer weit weg von ihrer Heimat haben durch eine neue Musik hindurch geweint, in der Vermischung von Wut und Melancholie. In den Vereinigten Staaten war's der 'Blues', in Argentinien der 'Milonga', in Frankreich 'die klagende Musette der Vororte'. Heute erschaffe ich den 'New Musette' da ich der Ansicht bin daß man diese Musik nicht mehr wie um 1930 spielen soll und ich spiele diese Musik mit einer Vermischung meiner stärksten Einflüsse: Piazzolla, Coltrane, Bill Evans, Debussy..."
Heute kann Richard Galliano stolz darauf sein, sein Kindheitstraum realisiert zu haben. "Ansonsten hätte ich mit dem Alter begonnen, von Schuldgefühlen angefressen." Er verstand es die Welt des Jazz ein und für alle Mal mit diesem wunderbaren Instrument welches zu lange für Volksbälle monopolisiert wurde zu versöhnen. Er spielte mit den talentiertesten Musikern: Chet Baker, Bireli Lagrène, Ron Carter, Enrico Rava, Michel Portal, Pierre Michelot, Jan Garbarek, Michel Petruccani, Philip Catherine, Didier Lockwood, Toots Thielemans, Daniel Humair, Jean-François Jenny-Clark, Al Foster, Anouhar Brahem usw...